lass uns noch mal los

lass uns noch mal los

Berlin-Kreuzberg in den 80ern, das war eine kleine Insel der Freiheit und Anarchie, im geschützen Raum der Mauer. Hier kämpften die Frauen für mindestens die Hälfte der Welt, das Private war politisch, die Barrikaden brannten und die Häuser waren besetzt, Partytime. 40 Jahre später hat jede Frau ihre Wohnung in einem gemeinsam gekauften Kreuzberger Mietshaus, immer noch nur für Feministinnen. Sie sind in der Berufswelt angekommen, als Journalistin, Juristin, Handwerkerin, Physiotherapeutin oder Buchhändlerin. Kreuzberg und die Verhältnisse haben sich allerdings nicht wesentlich verbessert, nur verändert. Die radikalen Frauen von damals fühlen sich jetzt alt, schwach und ausgemustert, der Alltag hat sie und ihre progressiven Ideen längst überholt (siehe Seite 62). Geht da aber vielleicht doch noch mal was?

Susanne Matthiessens satirischer Roman über die Frauen der Boomer-Generation ist unterhaltsam, bissig, schwarzhumorig und immer wieder ziemlich wahrhaft. Der überhaupt erste Mann im Haus – nur kurz für den Übergang bis er einen Platz im Heim bekommt – ist Gabrieles dementer Vater, der gerne die Hosen runterlässt und Körbchengröße D blind mit den Händen ertasten könnte. In einem Haus mit Frauen, die genau solche wie ihn bekämpft und gehasst haben! Und wie gehen die ehemaligen Latzhosen mit Irina um, die in der Gästewohnung umsonst wohnt, aus der Ukraine geflüchtet, aber kein bisschen dankbar für die Hilfe ist, dafür durchgestylt und mit den gesammelten 300 Start-Euros der Vermieterinnen auf dem Weg zum Lippen-Botox trippelt? Da müssen halt auch die Woken mal wütend werden, ihre Ideale überdenken und zum Vorurteil greifen. Zumal die nachgewachsenen Frauen, durchaus stark und durchsetzungsfähig, die Skrupel der Alten nicht immer nachvollziehen können.

Schnell gelesen und witzig ist es für die über 60-jährigen pure Nostalgie und Gelegenheit zur Reflektion, für die jungen Frauen ein kurzer Einblick in die wilde Welt ihrer Mütter.

Autorin: Susanne Matthiessen
Verlag Ullstein 2024


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