The Wilderness of Girls

The Wilderness of Girls

Nachdem Edens Vater verhaftet wird, wird Eden zu Rhi und kommt zu ihrem unbekannten Onkel Jim. Zuerst skeptisch erfährt sie zum ersten Mal seit sehr langer Zeit eine Art Familienleben und eine Umgebung des Vertrauens und der Zugewandtheit. Um sich zu bedanken und Interesse zu zeigen, arbeitet sie neben der Schule als Rangerin bei ihrem Onkel im Happy Valley. Der Wald, die Ruhe, die Tiere entschleunigen sie. Als eines Tages vier verschmutzte, verwilderte Mädchen aus dem Wald um Hilfe bitten, wird sie in Geschehnisse verwickelt, die alles auf den Kopf stellen. Was hat „Mutter“ im Wald mit den Mädchen gemacht, wo kamen sie her, warum verstehen sie sich als Rudel? Die Mädchen selbst halten sich für Prinzessinnen, die in der Nacht der Mondfinsternis durch ein Portal nach Leutheria gehen werden, um das Land zu retten.

Wir lesen hier vielleicht einen Coming-of-Age-Roman, aber kein Fantasybuch, keinen Krimi. Wir begleiten eine Spurensuche und den Selbstfindungsprozess jugendlicher Mädchen, die ein Kaspar Hauser ähnliches Dasein gelebt haben oder sich toxischen Familienverhältnissen stellen müssen. Indiz für Indiz wird zusammengetragen, es werden Zweifel gesät, Lügen entlarvt und Fragen gestellt. Wir lesen Auszüge aus dem Tagebuch der wilden Mädchen, E-Mail-Wechsel von Rhi und ihrem Stiefbruder, Nachrichten in den Social Media, Podcast-Mitschriften. Hochinteressant ist, wie sich die vier ganz unterschiedlich ihren neuen Lebensumständen anpassen, denn durch die ungewöhnlichen Umstände ihrer Entdeckung sind sie bald Gegenstand des öffentlichen Interesses. Als eine Zwillingsschwester auftaucht, wird klar, dass sie wohl alle einmal in der Realwelt verankert waren. Sind sie also die ganze Zeit nur belogen worden?

Allerdings sind sie im Wald zu eigenständigen, selbstbewussten Persönlichkeiten erzogen worden und nun stoßen diese individuellen Charaktere in der amerikanischen Kleinstadtwelt auf viel Widerstand. Die vier Mädchen, die im Wald eins mit der Natur und vor allem frei waren, treffen auf Schule, Therapie, Gewalt, die totale Unterdrückung der Gefühle und die Zerschlagung ihrer Gemeinschaft. Die Autorin dieses unglaublichen Debütromans lässt hier zwei Lebenswelten und Erziehungstheorien überzeugend aufeinanderprallen und folgt außerdem feinfühlig den unbewussten und bewussten Vorgängen des psychischen Verhaltens ihrer Figuren.

Allerdings baut sich beim Lesen eine unterschwellige düstere Erwartungshaltung auf, wir vermuten starke emotionale Erschütterungen bei allein Individuen, auch bei Rhi. War „Mutter“ Weiser, Lehrer, Führer, Prophet oder ein gruseliger Psychopath, ein Entführer mit Wahnvorstellungen? Existiert Leutheria wirklich und er wusste einfach mehr? Die Autorin spielt auch mit den Leser:innen, man positioniert sich, verwirft, entdeckt.

Das Buch liest sich superspannend, wirkt nach und ist mein 2024er-Highlight.

Was sich außerdem unglaublich unterhaltsam liest, ist das kurze CV der Autorin (ich musste zwei Wörter nachschlagen). Diese Zeilen sollte man unbedingt genießen.

Info
Autorin: Madeline Claire Franklin
Übersetzung aus dem Englischen: Maren Illinger
Fischer Sauerländer


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