Ein Tag, ein Aufzug

Ein ungewöhnliches, aber ganz wunderbares Bilderbuch spricht die Voyeurin in uns an. Wie die Frau in der Pförterloge auf der ersten Seite sitzen wir bequem im Sessel und beobachten Menschen, die aus dem Fahrstuhl eines Palazzos kommen oder in den Lift einsteigen. Wir sehen den Postboten um 10:22 Uhr, dem so allerhand ins Rutschen gerät, und bewundern die Tante des Mädchens, die fast einen ganzen Pullover strickt, während sie vom 8. Stock ins Erdgeschoss fährt. Die Mamas mit Werkzeugkoffern, im Pilotinnenoverall oder mit streitenden Drillingen fahren ebenso auf und ab, wie die Kinder mit schnellen oder unsichtbaren Schuhen oder der sehr geheimnisvolle Mann mit Sonnenbrille und Koffer. Sehr aufmerksame Beobachter:innen bemerken vielleicht, dass dem „sehr alten Herrchen“ mit Hund zwei Seiten gewidmet sind (um 18.30 und 19:44 Uhr). Warum wohl?
Und plötzlich öffnet sich eine Doppelseite, und wir erleben einen Wow-Effekt. Alles fügt und erklärt sich und ein Fahrstuhl-Buch wird zum Wimmelbuch. Alle Personen und die Dinge von den Cover-Innenseiten können wir nun auf der Doppelseite suchen und finden.
Der kurze erläuternde Text unter jeder Fahrstuhlseite ist witzig. Bei den Zeichnungen wurde auf kulturelle und Generationen-Vielfalt wert gelegt und zielt außerdem auf ein gelungenes nachbarschaftliches Miteinander ab. Die Illustrationen sind so nachvollziehbar und stimmig und die „Zusammenfassung“ auf der vorletzten Doppelseite ist eine so liebenswerte Überraschung, die dieses Buch noch optimiert. Es eignet sich bestens zur dialogischen Bildbetrachtung, regt über das genaue Hinschauen die Konzentrationsfähigkeit an und ist auch bei mehrmaligem Zur-Hand-Nehmen immer wieder schön, wenn es über die Seiten auf den Höhepunkt zusteuert. Mein persönliches Bilderbuch-Highlight.
Info
Text und Illustration: Christina Petit und Chiara Ficarelli
Übersetzung aus dem Italienischen Anne Brauner
Achse Verlag 2025