Eine Insel im Meer

1939 landen zwei Kinder im Nirgendwo auf einer schwedischen Schäreninsel. Ihre jüdischen Eltern haben ihre Töchter aus Wien evakuiert, um sie vor der Willkür der Nazis zu schützen. Für die Mädchen ist die neue Umgebung bei aller Schönheit der Natur sehr gewöhnungsbedürftig. Aus der Großstadt und dem ehemals gut situierten Wiener Umfeld sind sie zu Pflegeeltern gekommen, die der Pfingstgemeinde angehören und strenge Disziplin fordern. Während die jüngere Nelli sich bald eingewöhnt, hat es Steffi schwerer. Die neue Sprache lernt sie nicht so leicht, die Regeln sind unendlich, sie muss viel mithelfen und in der Dorfschule bleibt sie die Außenseiterin. Und dann wird Norwegen von der deutschen Armee besetzt, der Krieg kommt sehr viel näher und die Hoffnung, dass sie mit den Eltern zusammen nach Amerika auswandern können, schwindet von Monat zu Monat.
Das Thema ist heute besonders wichtig, es geht um Migration, um Integration, um Kinder, die alleine in die Ferne geschickt werden. Steffi fügt slch in die neue Umgebung schwer ein, zu sehr steht sie sich bei allen Schwierigkeiten auch noch selbst im Weg. Steffi, die aufs sommerliche Baden im Meer verzichtet, weil sie keinen richtigen Badeanzug hat, die Judenbalg genannt wird, „das hier nichts zu suchen hat“, die in der Schule gemobbt wird. Und das alles schweigend aushält, weil es niemanden gibt, dem sie sich anvertrauen kann. Die jüngere Schwester, die ins Bett pinkelt, weil sie sich nachts nicht draußen aufs Plumpsklo traut und nun Angst vor Bestrafung hat. Die Mädchen sind schon viel länger als geplant in Schweden. Sie werden wohl nie von der Insel nach Amerika kommen. Mir war bei der Leküre selbst immer mal wieder zum Weinen zumute; den Lesenden wird hier viel Mitgefühl und Mitleid abverlangt. Denn die Sprache ist klar und die Gegenwartsform erzielt beim Lesen ihre unmittelbare Wirkung.
Aber es gibt auch die schönen Momente: Wenn Steffi mit Onkel Evert zum Fischen geht, der Schlitten aus dem Keller geholt wird oder Steffi dann doch noch das Radeln erlernt und endlich eine Freundin findet. (Und die wunderbaren Naturbeschreibungen machen Lust auf Ferien in Schweden.)
Die Illustrationen sind eindringlich und geben auch die Zeit der Ereignisse wieder. Mich haben sie ein wenig an die bekannten Zeichnungen von Emil und die Detektive erinnert.
Dieser neu aufgelegte Kinder-/Jugendbuchklassiker von 1996 sollte schon deshalb gelesen werden, weil die Thematik noch heute so aktuell ist.
Info
Text: Annika Thor
Illustrationen: Sabine Wilharm
Insel Verlag 2025
Damals waren weitere Bücher über Nelli und Steffi erschienen und werden hoffenlich auch auf Deutsch wiederaufgelegt.