Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund

Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund

1903 sind zweiundzwanzig Jahre vergangen, seit Astrid Hekne bei der Geburt ihrer Zwillinge gestorben ist. Einer ihrer Söhne, Jehans, lebt in den Hügeln des norwegischen Gudbransdalen. Von der Gemeinschaft hat er sich abgewendet, ihn zieht es in die Freiheit, die Natur, zum Fischen und Jagen. Eines Tages schießt er einen gewaltigen Rentierbock, aber auch ein anderer Jäger behauptet, das Tier getroffen zu haben.

Die Sage um die Zwillingsschwestern Halfrid und Gunhild Hekne, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts einen außergewöhnlichen Wandteppich gewebt haben sollen, der die Vision der Schwestern vom Jüngsten Tag darstellt, bildet den Hintergrund der Begebenheiten 300 Jahre später. In der neuen Steinkirche in Butangen lebt Pastor Kai Schweigaard mit seinen Schuldgefühlen – er hatte damals den Verkauf und die Umsetzung der alten Stabkirche nach Dresden arrangiert -, dabei kam es auch zum Verlust der mystischen Schwesterglocken der Kirche, die im Gedenken an die Weberinnen gegossen wurden. Und die Legende besagt, dass nur zwei „Folgebrüder“ die Glocken wieder vereinen können. Der Pastor ist besessen von dem Gedanken, den verschwundenen Wandteppich der Schwestern zu finden, in der Hoffnung, dass er ihm Erlösung bringen wird und zudem die Glocken zusammenführen kann.

Der zweite Roman von Lars Myttings epischer Schwesternglocken-Trilogie ist sowohl Fortsetzung als auch ein (nicht ganz) eigenständiger Roman. Glücklicherweise kann Band 2 auch gelesen werden, wenn der Inhalt von Band 1 nur noch eine vager Gedanke ist – durch die Sogwirkung der Geschichte ist „Die Glocke im See“ schnell noch einmal quergelesen. Die Sprache ist kraftvoll, nimmt Zeit und Umgebung stimmig auf, die Landschaftsbeschreibungen sind atemberaubend und die Charaktere vielseitig. Vor allem die Frauenrollen sind interessant, so ist – für die damalige Zeit besonders – Kristine ehrgeizig, intelligent, fortschrittlich und in keiner Weise an der klassischen Kinder-Küche-Kirche-Karriere interessiert. Wo Astrid an den Verhältnissen noch gescheitert war, wird der nächsten Generation schon viel mehr Raum gegeben. Liebe und erbitterte Rivalität, nicht nur zwischen Brüdern, sind Thema, Trauer, aber auch der Mut, Fehler zu korrigieren, vorgeschriebene Pfade zu verlassen und traditionelle Hierarchien aufzubrechen. Während im ersten Band noch die Beschreibung der traditionellen Handwerkskunst wichtig war und die Vernichtung des kulturellen Erbes angeprangert wurde, wird hier technisches Wissen meisterlich ausgebreitet und aufgezeigt, wie sich das bäuerliche Leben durch die Industrialisierung verändert und in eine neue Ära eintritt.

Wir sind gespannt auf Band 3, der so einige lose Fäden zu einem grandiosen literarischen Teppich zusammenfügen wird.

Info
Autor Lars Mytting
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Insel Verlag 2021

Band 2 der Trilogie über die Schwesternglocken


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