Der Geigenbauer

Der Geigenbauer

Lars Olsen Hoem, Bauernsohn aus Westnorwegen, zieht es zum Meer. Er möchte ein eigenes Boot, selbstständig sein und Handel treiben. Als Jugendlicher kämpft er dann allerdings als Ruderer mit den Dänen auf Napoleons Seite gegen die Engländer und gerät in Kriegsgefangenschaft. Dort trifft er einen Geigenbauer aus Nantes, der ihn, den musikbegabten Sänger und Fiedler, in die Lehre nimmt. Die Kenntnisse, die er sich aneignet, verändern seinen vorgezeichneten Lebensweg. Er, der sich auf einem Hof nie zu Hause fühlte, lässt sich in Christiansund nieder, heiratet, wird Vater vieler Töchter und redlicher Geigenbauer. Er lebt zwar weiterhin in ärmlichen Verhältnissen, ist aber hochangesehen auch bei Experten im Ausland. Er hinterlässt 1852 unzählige Geigen, von denen 30 noch heute existieren, ohne dass er je das Leben eines Künstlers geführt oder gefühlt hätte.

Der norwegische Schriftsteller Edvard Hoem erzählt die Lebensgeschichte seines Vorfahren Lars Olsen Hoem auf eine besondere Weise. Sein Porträt ist auf historische Fakten gegründet, er hat Archivmaterial, Kirchenbücher, Nachlass- und Gefangenenverzeichnisse ausgewertet und in Büchern zum Geigenbau recherchiert. Mit Erläuterungen wendet er sich sogar gelegentlich direkt an die Lesenden, wenn schwarze Informationslöcher den Rahmen seines Ahnen-Porträts nicht komplett füllen können. Das erinnert zwar eher an eine Dokumention als an einen fiktiven Roman. Aber die unaufdringliche Sprache, die Beschreibungen der bäuerlichen Lebensweise, die Einsprengsel mit Landschaftsbeschreibungen, das passt alles, lässt die Person konkret werden und ist überraschend anrührend. Bei den fiktiven Szenen, die über den Berichtsstil hinausgehen und narrativer sind, fesselt der Autor ohnehin und erzeugt eine starke Sogwirkung. Mit Liebe zum Detail beschreibt der Autor die Schritte des Geigenbaus von der Holzauswahl bis zur Fertigstellung des Musikinstruments. Dem gegenüber steht die gefährliche Arbeit an den Klippfischfelsen, wo der Kabeljau gewaschen und gesalzen und für den Export vorbereitet wird. Wir erfahren viel über die Lebensverhältnisse der armen Bevölkerung im ländlichen Norwegen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Karge Bedingungen, Rezession, Armut, Religion, und doch gibt es auch die leichten Momente des Gesangs, der Musik und des Tanzes, die wichtig sind für das Gesamtbild. Gefühl wird in der Landbevölkerung nicht über Worte ausgedrückt, sondern über Taten.

Der Geigenbauer ist ein ganz besonderes Buch, das Genres schlüssig vereint: Dokumentation, Lebensbild, Gesellschaftsroman.

Info
Autor Edvard Hoem
Aus dem Norwegischen von Antje Subey-Cramer
Verlag Urachhaus 2022


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