Euphorie. Ein Sylvia-Plath-Roman

Euphorie. Ein Sylvia-Plath-Roman

Sylvia Plath, vor allem Lyrikerin, aber auch Autorin eines wunderbaren halbautobiografischen Bildungsromans, wäre am 27. Oktober 90 Jahre alt geworden, beendete aber ihr Leben durch Suizid mit 30. Zerrissen zwischen einer unglücklichen Ehe, zwei sehr kleinen Kindern und dem Wunsch sich künstlerisch zu verwirklichen, zerbrach sie an den äußeren Umständen und den eigenen Ansprüchen und wurde damit in den 1970er-Jahren zu einer Ikone der Frauenbewegung hochstilisiert.

Elin Cullhed, von der man im Klappentext liest, dass sie sich durch eine Phase ähnlicher Probleme zu dem Buch inspirieren ließ, fabuliert geschickt und lässt Sylvia Plath selbst in einer endlosen fiktiven Seelenschau zwischen Depression und Euphorie ihr letztes Jahr beschreiben und reflektieren. Neben der Bewältigung des banalen Alltags und dem Bedürfnis nach schöpferischer Kreativität versucht sie ihren Ehemann Ted Hughes, selber Lyriker, maßlos zu lieben, den Kindern eine gute Mutter zu sein, vor ihrer eigenen Mutter zu bestehen und – um Außenwirkung bedacht – von allen als klug, schön und erfolgreich wahrgenommen zu werden. Einerseits narzisstisch, manisch, sich selbst überhöhend und andererseits von ständigen Selbstzweifeln und Schuldgefühlen geplagt, lesen wir von viel Selbstmitleid, Trotz und Verletzung. Durch die Ich-Perspektive kommt es zu einer bedingungslosen Beziehung zur Hauptfigur: Wir backen, gebären, graben, weinen viel und lachen künstlich, in ständiger Wiederholung über 335 Seiten. Das Pendel schlägt auf jeder Seite mehrmals in Extremstimmungen aus, dunkel oder hell, das ist nicht nur für die Figur anstrengend, sondern auch für die Lesenden gleichermaßen zermürbend.

Der Stil ist intensiv, hastig, manisch und hochsprachlich brillant (bis auf kleine unverständliche Wortausrutscher in die 2020er-Jahre), das macht das Buch auch für Sprachästhet:innen sehr lesenswert. Was Sylvia Plath‘ Mutter über die „Glasglocke“ sagte, kann man auch über „Euphorie“ sagen: „Sie schuf ein künstlerisches Ganzes, das sich las wie die reine Wahrheit.“ Das Buch ist so herausragend, weil die Autorin es geschafft hat, reale Inhalte und Fiktion zu einer Figur so wahrhaftig neu zu vermengen, dass Sylvia Plath, deren Werk ich sehr geschätzt hatte, für mich in Schieflage geraten und zu einer neuen, sehr strapaziösen Person geworden ist – und es damit auf meine persönliche Liste der nervigsten literarischen Frauenfiguren geschafft hat (neben Anna Karenina, Effie Briest und Emma Bovary). Ich werde wohl die Glasglocke und die Tagebücher erneut lesen müssen, um mein früheres Bild von Sylvia Plath wiederzufinden.

Die Autorin Elin Cullhed hat in ihrer Heimat Schweden den Augustpriset, den renommiertesten Literaturpreis, für „Euphorie“, gewonnen, und das zu Recht. Für unvoreingenommene Lesende ist das Buch ein Geschenk, Sylvia-Plath-Liebhaber:innen sollten das Werk mit Vorsicht zu genießen.

Autorin: Elin Cullhed
Übersetzerin aus dem Schwedischen: Franziska Hüther
Insel Verlag 2022


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